Nachrichten aus der Übersetzungsbranche | 16.08.2012

Bedrohte Sprachen kämpfen ums Überleben in der modernen Welt

Im UNESCO-Weltatlas zu bedrohten Sprachen sind derzeit mehr als 3.000 Sprachen gelistet. Für das Aussterben einer Sprache kann es vielerlei Gründe geben. Zumeist werden sie auf Unterdrückung in kriegerischen, wirtschaftlichen, religiösen, kulturellen oder bildungsbedingten Bereichen zurückgeführt, aber auch die Globalisierung trägt zur Vernachlässigung von Minderheitensprachen bei. Und so scheint es, als würde die Zeit für viele Sprachen der Welt knapp. Sprachforscher kämpfen seit langem für den Erhalt und die Wiederbelebung von aussterbenden Sprachen und bedienen sich neuer Technologien und Medien, um die kulturelle Identität und das kulturelle Wissen zu bewahren, die mit den Sprachen einhergehen. Erst vor kurzem berichtete The Translation People über das Endangered Languages Programm von Google.

Zwei Organisationen, die sich mit bedrohten Sprachen beschäftigen, sind Survival International, eine Organisation, die Stammesvölker weltweit unterstützt, und VOGA (Vanishing Voices of the Great Andamanese). Beide berichteten kürzlich über ihre Bemühungen zum Erhalt der Bo-Sprache und informierten in diesem Zusammenhang auch über den Tod der letzten bekannten Sprecherin Boa Senior, der einzigen Muttersprachlerin seit knapp 40 Jahren. Die Sprache soll vor 65.000 Jahren in Afrika entstanden sein und wurde auf den Andamanen-Inseln gesprochen. Seit Januar 2010 gilt Bo nun als tote Sprache und ihr Aussterben wird nicht nur von Sprachwissenschaftlern bedauert. Auch Anthropologen trauern um die letzte Bo-Sprecherin, da ihr Tod den Verlust von historischem Wissen und einer kulturellen Identität bedeutet. Der Leiter von Survival International erklärte: „Mit dem Tod von Boa Senior und dem Aussterben der Bo-Sprache ist nun ein einzigartiger Teil unserer menschlichen Gesellschaft nur noch eine Erinnerung. Boas Tod sollte uns eine Warnung sein, dass dies nicht auch den anderen Stämmen der Andamanen-Inseln wiederfährt.“

Nach Boa Seniors Tod strahlte die britische BBC einen Bericht von K. David Harrison über das Aussterben bedrohter Sprachen aus. Harrison ist Autor von The Last Speakers: The Quest to Uncover the World’s most Endangered Languages und hat in The Linguists mitgewirkt, einer  Dokumentation über die Bemühungen bedrohte Sprachen zu festzuhalten. Bei der Premiere des Films beim Sundance Film Festival 2008 erhielt die Dokumentation weltweit Anerkennung. Harrison setzt das Überleben von Sprachen mit dem Überleben von Arten gleich und spricht in diesem Zusammenhang von einem Parallelaussterben. Harrison ist der Auffassung, dass 80 % der Tierarten unbekannt seien, und auch 80 % der Sprachen seien noch nicht dokumentiert. Damit unterstreicht er die wichtige Beziehung, die zwischen unserer Sprache und der Umwelt, in der wir leben, besteht.

Harrison ist ebenfalls ein vehementer Befürworter neuer Technologien, die dabei helfen, Menschen für die Situation gefährdeter Sprachen zu sensibilisieren. Nachdem The Linguist auf diversen Filmfestivals ausgestrahlt wurde, ist die Dokumentation im Jahr 2009 auf der Babelgum Webseite veröffentlicht worden: „Wird das Internet richtig genutzt, kann es enormen Einfluss darauf haben, das Bewusstsein der Menschen zu stärken und kann dazu beitragen, Minderheitensprachen zu erhalten und zu unterstützen.“

Internationale Organisationen und Institutionen teilen diese Auffassung. Die Europäische Union fördert ein Projekt zum Schutz und Erhalt von Sprachen. Das Programm ELDIA (European Language Diversity for All) wurde bisher mit knapp 3 Millionen Euro gefördert und macht Gebrauch vom sogenannten „vitality barometer“, einem Gradmesser zur Gefährdung einer Sprache. ELDIA konzentriert sich bei seiner Arbeit auf 14 Finno-ugrische Sprachen wie z.B. Meänkieli in Schweden und die Variante der estnischen Sprache, die von estnischen Gastarbeitern in Deutschland gesprochen wird.

Unter dem „Endangered Language Program“ führte Rosetta Stone 2010 eine Chitimacha-Sprachversion seiner Software ein. Ziel dieses Programms ist es, das „globale Sprachensterben abzuwenden”. Die Exklusivrechte für dieses Programm wurden dem Chitimacha-Stamm von Louisiana überschrieben.

Die Personen und Organisationen, die für das Überleben dieser Sprachen kämpfen, werden alles dafür tun, dass auch nachfolgende Generationen dieses Problem nicht aus den Augen verlieren. Oder um es mit den Worten K. David Harrison auszudrücken: „Das Schicksal dieser Sprachen liegt in den Händen der wenigen verbliebenen Sprecher, oder besser gesagt: in ihren Köpfen und Mündern. Hören wir ihnen zu, solange es noch möglich ist”.


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