Sprache im Fokus | 23.03.2018

Die Wege der Übersetzung: Babel in Genf

Der Turmbau zu Babel des flämischen Malers Abel Grimmer (1604, Abb.) fungiert als ausdrucksstarkes Sinnbild für die faszinierenden Ausstellung Routes de la Traduction, die derzeit in der Bodmer Stiftung in Genf stattfindet. Die Ausstellung rund um die vom Schweizer Bibliophilen und Mäzen Martin Bodmer (1899–1971) gesammelten Werke illustrieren überaus anschaulich die Rolle, die Übersetzungen im Laufe der Menschheitsgeschichte sowohl in Bezug auf Literatur als auch Kultur gespielt haben. Ein dazugehöriger umfangreicher Katalog in französischer Sprache enthält Artikel von renommierten Linguisten, Philosophen und Übersetzern aus der ganzen Welt und stellt einen hervorragenden Ausgangspunkt für den weitläufigen Kontext dieser einzigartigen Ausstellung dar (Les Routes de la Traduction: Babel à Genève, Editions Gallimard/Fondation Martin Bodmer, 2018, 336 Seiten, 39€).

Sprache und Übersetzung bilden das Herzstück von Bodmers Bibliothek, die auf den fünf Säulen der Weltliteratur gründet (dieser Begriff wurde einst von Goethe geprägt, um den internationalen Umlauf und die Rezeption literarischer Werke in Europa zu beschreiben. Heute wird der Begriff Weltliteratur verwendet, um klassische Werke aller Epochen zu beschreiben): Homer, die Bibel, Dante, Shakespeare und Goethe. Ohne Übersetzungen wäre der Einfluss der meisten literarischen Werke nur schwer vorstellbar. Beispielsweise seltene Erstausgaben oder Übersetzungen, die es ganz unerwartet zu Weltruhm schafften, wie etwa Martin Luthers Version der Bibel (ganz zu schweigen von einer Erstausgabe in Cherokee!). Die Routes de la Traduction, die teilweise auch überraschende Wege von Übersetzungen aufzeigt, spiegelt die Odyssey von Texten wider, angefangen mit einer faszinierenden Serie von Hieroglyphen, wie sie von Land zu Land reisen und aus einem Jahrhundert ins nächste gelangen, und wie sie mit jeder Transformation in ähnlichen und gleichzeitig leicht unterschiedlichen Variationen wieder auftauchen.

Viele weltberühmte Übersetzungen, die wir nicht selten weltweit renommiertesten Autoren zu verdanken haben, können oft als gleichwertig, wenn nicht sogar besser, als das Original beschrieben werden. Bei der Übertragung von Edgar Allen Poe sagte Baudelaire: „Als ich das erste Mal Poe las, freute ich mich, denn ich sah nicht nur Subjekte, von denen ich einst träumte, sondern genau die Sätze, dich ich mir vorgestellt hatte, niedergeschrieben von Poe, etwa 20 Jahre zuvor.“ Er übersetzte Poes Poesie mit größter Sorgfalt, mit dem Ziel vor Augen, Poes Sätze exakt ins Französische zu übertragen. Und sogar Goethe selbst zollte Nerval, dem französischen Übersetzer von Faust, Tribut, indem er verkündete: „Im Deutschen mag ich den ‚Faust‘ nicht mehr lesen; aber in dieser französischen Übersetzung wirkt alles wieder durchaus frisch, neu und geistreich.“

Die Unerlässlichkeit von Übersetzungen zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte. Viele Dinge, die uns beispielsweise aus der griechischen Kultur bekannt sind, wurden uns erst durch arabische Übersetzungen übermittelt. Dank dieser Übersetzungen wurden zum Beispiel wissenschaftliche Erkenntnisse sogar erweitert, und zwar durch das Hinzufügen von Zahlen, ein Erbe der arabischen Welt. Übersetzungen von religiösen hinduistischen Texten und des Korans erlaubte der westlichen Zivilisation Zugang zu einer Welt, die sie sich vorher nicht einmal im Traum hätte vorstellen konnte. Und so wird dank Übersetzungen Wissen seit jeher von Zivilisation zu Zivilisation und von Generation zu Generation weitergegeben, erweitert und sogar ergänzt.

Man kann getrost eine Parallele zwischen der Erzählung des Turmbaus zu Babel und der heutigen Vision von Übersetzungen ziehen. Einige sehen in Babel eine unverständliche Kakofonie, die die Menschheit teilt, da das Sprachengewirr jeder Grundlage entbehrt. Andere wiederum interpretieren die Erzählung als gemeinsame Kraftanstrengung der Menschheit, obgleich unterschiedlicher Herkunft und Vielfalt. Oft kam es in unserer Geschichte vor, dass an Übersetzungen kein gutes Haar gelassen wurde. Ja, Übersetzungen wurden sogar mit Betrug gleichgesetzt! Andere wiederum sahen in der Rolle der schriftlichen Übertragung von einer Sprache in die nächste nur Gutes, wie der französische Philosoph Gilles Deleuze, der fand: „Übersetzen heißt, zu denken“.

Übersetzungen spielen oft die Rolle als Mittel für Entdeckungen, aber auch als Instrument für Vorherrschaft. Die Ausstellung stellt einige der ersten Übersetzungen von Konfuzius durch die Jesuiten aus, denen die Idee zugrunde lag, eine Konvertierung gelänge besser durch das entsprechende Sprachverständnis. Oder das starke athenische Heer, das ägyptische Texte ins Griechische übersetzen ließ, während die Römer Latein als gängige Sprache in eroberten Gebieten durchsetzten. Und auch heute erleben wir Sprachdominanz im großen Stil: Das standardisierte Englisch, oder auch „Globisch“, als modernes Esperanto.

Übersetzungen fungieren als Brücke zwischen Ländern und Völkern, sie sorgen für die Verbreitung von Schriften, von Ideen und sogar Bewegungen. Übersetzungen können Probleme lösen, aber auch auslösen. Und heute? In Zeiten, in denen maschinelle Übersetzungen die Produktivität von Übersetzern um ein Vielfaches beschleunigt, ist das Thema Übersetzung so faszinierend wie nie.

Wir bei The Translation People freuen uns, mit maßgeschneiderten Serviceleistungen unsere Kunden auch weiterhin dabei zu unterstützen, mit Menschen und Unternehmen weltweit zu kommunizieren (wobei zu bemerken ist, dass sich die meisten zu übersetzende Dokumente eher von den Texten der Routes de la Traduction Ausstellung unterscheiden). Und das in über 250 Sprachkombinationen!

Routes de la Traduction: Babel à Genève

Fondation Martin Bodmer

  1. November 2017–5. März 2018

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